Talente trainieren auch bei fünf Grad draußen
Wie, ihr wisst nicht, was Sidesteps sind?“ Für einen kurzen Moment ist Nico Kiener irritiert. Dann zeigt der Trainer der männlichen D-1-Jugend eben kurz selber, wie die Seitwärtsbewegungen, synchron und mit leicht erhobener Armbewegung ablaufen. Das war’s aber schon, was an diesem Donnerstagnachmittag in der Haslacher Sporthalle von dem 42-jährigen Kiener und seinem Trainerkollegen Martin Baier kurz demonstriert werden muss. Ansonsten lief eine der ersten Halleneinheiten nach den Pfingstferien so ab wie immer – als ob es Corona und eine monatelange Unterbrechung für die Handballtalente der SG H2Ku Herrenberg nicht gegeben hätte.
Kiener lächelt: „Der Vorteil ist, dass wir hier doch noch auf dem Land leben und die Kinder in diesem Alter einfach noch draußen unterwegs sind.“ In der Tat: Obwohl die schwül-warme Luft den ganzen Donnerstagmittag über einen ergiebigen Landregen erwarten ließ, stehen acht Fahrräder vor der Halle. „Die fahren wie selbstverständlich mit dem Rad von Kuppingen, Herrenberg und Jettingen nach Haslach“, hat Nico Kiener festgestellt. Von wegen Eltern-Taxi. Der hauptamtliche Landestrainer des Handballverbandes Württemberg (HVW), der zudem im Deutschen Handball-Bund die Nachwuchsmannschaften im weiblichen Bereich trainiert und seit kurzem noch in der Frauen-Bundesliga bei Frisch Auf Göppingen als Trainer tätig ist, betreut die Jahrgänge 2009 und 2010 seit einigen Jahren. Spielen hier doch seine beiden Söhne Mats und Michel mit.
Defizite, was Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination angeht, hat die Abstinenz vom Hallentraining seit dem zweiten Lockdown ab Ende Oktober bei den 13 D-Jugendlichen nicht ausgelöst. „Wir haben ja weiter trainiert, so gut es ging und es die Corona-Verordnungen eben zugelassen haben“, unterstreicht Kiener die Situation, in der der Handball-Nachwuchs der SG H2Ku Herrenberg wie viele andere Vereine steckte.
Marcel Kohler, zusammen mit Luca Waidelich Leiter der im vergangenen Jahr installierten Handballschule der SG H2Ku (wir berichteten), räumt zudem offen ein, dass der Verein aufgrund des kostenpflichtigen Trainingsangebotes ein wenig in Zugzwang geriet: „Bei uns galt relativ schnell die Devise, dass wir für unseren Beitrag eine Leistung erbringen müssen und die Trainer haben da auch entsprechend mitgezogen.“ Im Gegensatz zu umliegenden Vereinen, die in der Regel nur einen geringfügigen zweistelligen Jugendbeitrag pro Jahr erheben, fallen bei der Handballschule in Herrenberg Beiträge von fünf bis zu 25 Euro jeden Monat an. Der Betrag ist nach Altersstufen gestaffelt und ob der Jugendliche in einer leistungsorientierten oder einer Freizeitmannschaft mitspielt. Eine Leistungsmannschaft wie die D1-Jugend trainiert bereits nicht weniger als drei Mal die Woche. Kohler: „Wir wollen uns da auch einen Vorteil gegenüber anderen Sportarten verschaffen.“ Gerade im D-Jugendalter mit zehn, elf Jahren probieren die Jungs und Mädchen meist noch mehrere Sportarten aus. Mit dem Übergang auf weiterführende Schulen, ab der fünften Klasse, ist die Freizeit begrenzter und man entscheidet sich in Absprache mit den Eltern öfters nur noch für einen Sport.
Während die SG H2Ku im ersten Lockdown im März und April 2020 die Handballübungseinheiten absagte, war von einer „Schließung“ der Handballschule ab November 2020 nicht mehr die Rede. Kohler&Co. boten zahlreiche Aktivitäten wie zweimaliges Online-Training pro Mannschaft, Kilometer-Läufe und so genannte Corona-Games an, bei der sich die Jugendlichen kniffligen Aufgaben stellen mussten. Etwa mit der „falschen Hand“ in einer bestimmten Zeit so viele Bälle oder Pässe an die Hauswand zu spielen wie möglich. Oder Erdnüsse auf Strohhalme zu stapeln. Als im Februar zunächst nur Outdoortraining zu zweit, später dann in Fünfer- oder Zehnergruppen möglich war, wurden wieder Übungsstunden auf dem Tartanplatz hinter der Haslacher Sporthalle abgehalten. „Wir hatten da mal nur fünf Grad oder es hat geschneit – aber den Jungs hat’s immer Spaß gemacht“, meint Nico Kiener rückblickend. Aber als Sportwissenschaftler weiß er, wie schwierig es ist für kleinere Vereine, da ein ständiges Übungsangebot aufrechtzuerhalten: „Das ist megaschwierig und geht eigentlich nur über engagierte Trainer.“
In der Handballschule haben Spieler und Trainer der Männer- und Frauenersten wie Aylin Bok oder Fabian Gerstlauer samstags ein altersübergreifendes Online-Training angeboten. Die Spielerinnen der Zweitliga-Frauen haben Übungen per Video aufgenommen, die von der Handballschule auf die Homepage gestellt wurden. Die SG-Jugendlichen haben daraufhin ihrerseits zahlreiche Videos eingesandt.
Nach der viertelstündigen Aufwärmphase im D-Jugendtraining wird in Dreiergruppen das Abwehrverhalten geschult. Kurze Anweisungen von Kiener werden sofort umgesetzt, mit Korrekturen muss sich der versierte Handballcoach nicht lange aufhalten. Er schmunzelt, wie reibungslos das alles abläuft. Vielsagend meint er: „Sie wissen auch: Wenn sie nicht zuhören, bekommen sie Ärger.“ Und: Das Abschluss-Spielchen sechs gegen sechs würde vielleicht ausfallen. Diese Gefahr droht an diesem Donnerstag nicht. Die D-Jugend hat vom Schneegestöber im Februar bis zum ersten Hallentraining quasi auf dem Tartanplatz durchtrainiert, zum Schluss waren gar 20er-Gruppen zugelassen. Auf eine Bilanz ist Kiener besonders stolz: „Also bei uns hat mit Handball kein Einziger aufgehört.“
Quelle: ANDREAS GAUSS – Gaeubote
